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« Tafeln » und Barmherzigkeit statt Rechte und Sozialstaat?

Professor Dr. Stefan Selke sprach über die „Welt der Tafeln“

Können immer mehr „Lebensmitteltafeln“ die Lösung für die wachsende Armut in unserem Lande sein? Um diese Frage zu diskutieren, hatten die „Freunde von Valjevo“ Dr. Stefan Selke, Professor für Soziologie an der Hochschule Furtwangen University, am Samstag, den 30. April 2011, zu einem Vortrag über die „Welt der Tafeln“ eingeladen.

Tiefe Einschnitte in den Sozialstaat, die Hartzgesetze und die Förderung von Leiharbeit und Minijobs haben die Zahl bedürftiger Menschen in unserem Land deutlich ansteigen lassen. Mit ihnen wuchs auch die Zahl der „Tafeln“ sprunghaft an. Wie Stefan Selke in seinem Vortrag deutlich machte, sind sie keine nachhaltige Lösung gegen die Armut in unserer Gesellschaft. Sie könnten keine flächendeckende Versorgung bieten: Die „Tafeln“ würden vor allem in reicheren Regionen gebildet, dort, wo viele Lebensmittel übrig blieben. In Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit und Armut, wie in Ostdeutschland, wo sie besonders notwendig wären, gäbe es nur wenige dieser Einrichtungen. Dabei überwinden nur etwa 15% der Menschen, die aufgrund ihrer Bedürftigkeit zu „Tafeln“ gehen dürften, ihre Hemmschwelle. Die meisten schreckten davor zurück. Sie möchten nicht ihre Armut öffentlich zeigen, indem sie zur „Tafel“ gingen und fühlen sich erniedrigt fühlen, sie das essen sollen, was vom Lebensmittelhandel für den Normalbürger bereits aussortiert wurde. Viele sehen auch die strikte Trennung bei den „Tafeln“ zwischen Helfern und den „Kunden“, die nicht mitarbeiten dürfen, als Diskriminierung. Eine gleichberechtigte Begegnung auf Augenhöhe sei so nicht möglich.

Der Staat, betonte Selke, spare kurzfristig Geld, wenn er die Regelsätze für Sozialgeld und Hartz IV unzureichend ansetze und privaten Helfern wie den „Tafeln“ die „Zusatzversorgung“ überlasse. Wenn man aber die langfristigen Kosten berücksichtige, die der Gesellschaft dadurch entstehen, dass viele Betroffene als Folge ständiger Demütigung und Entmündigung schließlich völlig resignierten, käme man zu einem anderem Ergebnis. Selke forderte eine Rückkehr zum Sozialstaat mit Rechtsansprüchen für Bürger in Notlagen statt sie von privater Barmherzigkeit abhängig zu machen. Die „Tafeln“ seien heute keine soziale Bewegung. Sie stellten sich keine gesellschaftspolitischen Ziele. Motiv ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiter sei der Wunsch, für sich eine sinnvolle Tätigkeit zu finden und Anderen zu helfen. Darauf sollten sie sich, so Selke, aber nicht beschränken, sondern mit ihren „Kunden“ für die Beseitigung der politisch gemachten Armut eintreten. Dafür sind, wie in der anschließenden Diskussion mehrfach betont wurde, Mindestlöhne, eine deutliche Anhebung der Regelsätze und mehr soziale Gerechtigkeit unverzichtbar. Die „Tafeln“ würden dann weitestgehend überflüssig.

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