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Brücke nach Serbien

Brücke nach Serbien

Solidarität von unten nach den Bomben der NATO: Der Pfaffenhofener Verein Freundschaft mit Valjevo organisiert seit elf Jahren humanitäre Hilfe und pflegt die deutsch-serbische Freundschaft

Von Bernd Duschner

Seit elf Jahren organisiert eine kleine Initiative in Oberbayern unermüdlich humanitäre Hilfesowie einen mittlerweile regen Jugend- und Kulturaustausch mit der 1999 mehrfach bombar-dierten serbischen Stadt Valjevo. Insgesamt 32 Angriffe flog die NATO gegen die 60000 Einwohner zählende, südwestlich von Belgrad gelegene Kommune in jenem Frühjahr. Am 16.Juli, nur wenige Wochen nach dem Ende des NATO-Luftkrieges gegen Serbien, gründeten Einwohner der oberbayerischen Kreisstadt Pfaffenhofen a.d. Ilm den Verein »Freundschaftmit Valjevo«. Aus den ersten deutsch-serbischen Begegnungen sind dauerhafte freundschaft-liche Beziehungen zwischen Bürgern beider Städte geworden.

Wie alles anfing

Die Rundfunkmeldungen am 24. März 1999 über den Beginn der Bombardierung serbischer Städte durch die NATO waren für mich ein einschneidendes Erlebnis. Täglich waren Meldungen über Bombardements auf die völlig schutzlosen serbischen Kommunen zu hören. Und so begann ich, auf dem Marktplatz unserer Stadt selbstverfaßte Flugblätter gegen den Kriegzu verteilen. Nach einigen Wochenenden bekam ich immer mehr Zuspruch. Zu offensichtlich war gerade für ältere Menschen, für Frauen mit Kindern, für die arbeitende Bevölkerung ganz im Gegensatz zu vielen Spiegel- und Zeit-Lesern, daß die Bomben der NATO in keiner Weise zu einer Lösung der Konflikte zwischen Serben und Kosovo-Albanern beitragenkonnten. Deshalb fand meine Unterschriftensammlung für einen bezahlten Aufruf in der örtlichen Tageszeitung mit der Forderung »Schluß mit den Bomben – zurück zum Verhandlungstisch«, breite Unterstützung. Über hundert Pfaffenhofener, darunter acht Stadträte aus allen Parteien, unterschrieben den Appell und spendeten jeweils 20 DM, so daß die Anzeige finanziert werden und am 22. Mai und am 5. Juni im Pfaffenhofener Kurier erscheinen konnte. Über die Unterschriftensammlung hatte sich eine kleine Gruppe Bürger zusammengefunden. Zu ihr gehörte eine Familie aus der westserbischen Stadt Valjevo, die seit vielen Jahren in Pfaffenhofen lebte. Uns allen war klar, daß mit dem Waffenstillstandsabkommen vom 10.Juni 1999 und dem Ende der Bombardements der Krieg für das serbische Volk nicht beendetwar. Der Großteil der Industrie und die Infrastruktur des Balkanlandes waren zerstört – und das mörderische Embargo der NATO-Staaten dauerte an. Mit den 1992 einsetzenden Blockaden sollte die Wirtschaft des kleinen Landes ohne Rücksicht auf die Leiden seiner Bevölkerung ruiniert und die serbische Regierung unter Slobodan Milosevic in die Knie gezwungenwerden.

Das Embargo bedeutete, daß die Auslandskonten der Bundesrepublik Jugoslawien eingefroren waren. Die Regierung in Belgrad konnte mithin für ihre Bürger selbst die nötigsten Güter nicht einkaufen. Auch Zahlungen und Überweisungen von im Ausland lebenden und arbeitenden Serben an ihre Verwandten waren untersagt. Das Embargo galt für sämtliche Investitionen in Jugoslawien, für die Lieferung von Maschinen wie für Erdöl- und Erdölerzeugnisse. Die Landwirtschaft des Landes sollte ohne Treibstoff zum Stillstand gebracht und damit die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung unmöglich gemacht werden. Es galt ganz explizitfür sämtliche »Dienstleistungen und Technologien, deren Ziel oder Wirkung die Reparatur von Schäden in der Bundesrepublik Jugoslawien ist, die von den Luftstreitkräften, an denen die Mitgliedsstaaten beteiligt sind, verursacht wurden«, wie der EU-Rat in seiner Verordnungvom 10. Mai 1999 zynisch bekräftigt hatte.

Vor diesem Hintergrund beschlossen wir, Solidarität und humanitäre Hilfe für die serbische Bevölkerung zu organisieren. Unser Verein nahm sich vor, Bürger aus unserer Stadt mit den Bürgern einer serbischen Stadt zusammenzubringen, um das von Bild, Spiegel und Süddeutsche geschaffene Feindbild »Serbien« abzubauen und das Embargo zu bekämpfen. Wir begannen mit der Vorbereitung eines ersten Hilfstransportes. Dank unserer serbischen Freunde im Verein hatten wir bereits Kontakt zu Bürgern in Valjevo aufnehmen können. Bei Sammlungen auf dem Markt und in den Straßen zeigte sich, daß viele Pfaffenhofener, darunter auch Geschäftsleute, bereit waren, für einen Hilfskonvoi zu spenden und bei humanitärer Hilfemitzuwirken. Je konsequenter wir die Vorbereitung des Transportes vorantrieben, desto stärker wurde die Unterstützung. Schließlich schlossen sich alle acht Kindergärten unserer Stadt und mehrere Schulen an. Dank dieser überwältigenden Resonanz konnten wir am 4. Oktober 1999 mit einem vollbeladenen Sattelzug mit 20 Tonnen Hilfsgütern und einem Bus mit 26 Bürgern nach Serbien aufbrechen. Geladen hatten wir medizinisches Verbrauchsmaterial, Lebensmittel und Kleidung sowie Süßigkeiten und Geschenke für Kinder.

Propaganda und Wirklichkeit

Selbst in vermeintlich seriösen deutschen Medien war in dieser Zeit Jugoslawien wahrheitswidrig als blutige Diktatur dargestellt worden, in der extremste Nationalisten herrschen und Milosevic als »Schlächter vom Balkan« die albanische Bevölkerung terrorisiert, in Konzentrationslager treibt und Hunderttausende ermordet. Mit der Realität in dem geschundenen Land, in dem traditionell viele verschiedene Volksgruppen friedlich zusammenleben, hatte die bösartige Kriegspropaganda nichts zu tun. Das zeigte sich bereits, als wir unsere Visa beantragten: Unser Gesprächspartner, der damals bereits seit vielen Jahren das Generalkonsulat in München leitete, hieß Sami Dermaku. Der oberste Repräsentant der Regierung Milosevic in Bayern war ein Albaner aus dem Kosovo.

Auf unserer Fahrt über Subotica, Novi Sad und durch einige wegen ihres besonderen Baustilsbeeindruckenden Dörfer der Roma kurz vor Valjevo konnten wir die »humanitäre« Wirkung der NATO-Bomben mit eigenen Augen sehen: zerstörte Brücken und Eisenbahnlinien, bombardierte Wasserversorgungsanlagen, Heiz- und Stromkraftwerke, kaputte Fabriken und Häuser, große Armut und Not.

Am Abend des 5. Oktober erreichten wir nach 24 Stunden unser Ziel: Valjevo. Wir wurdenherzlich vom zweiten Bürgermeister der Stadt, Ljubomir Lazarevic, Vertretern des Stadtratesund vielen Bürgern begrüßt. Speziell für unsere Reisegruppe hatten sie ein festliches Abendessen vorbereitet. Sie machten wie alle, die wir in diesen Tagen kennenlernten, keinen Hehlaus ihrer Freude, daß nach all den Jahren des Embargos und Krieges eine Gruppe deutscher Bürger den Weg in ihr Land gefunden hat. Es machte ihnen neue Hoffnung, wie sie sagten.

Valjevo war vom Krieg stark gezeichnet: Das Kombinat »Krusik«, mit gut 8000 Beschäftigten wichtigster Betrieb und Steuerzahler, hatten die Bomber der NATO bei mehreren schweren Angriffen fast völlig zerstört. Selbst das Gelände des Krankenhauses war beschossenworden, so daß der Großteil der Fensterscheiben zerborsten war. Die Auswirkungen des Embargos waren omnipräsent: Es fehlten medizinische Geräte, Verbrauchsmaterial und Medikamente, Treibstoff für Verkehr und Landwirtschaft, Öl für die Beheizung von Wohnungen und öffentlichen Gebäuden wie den Schulen. Die Menschen auf den Straßen machten einen ermüdeten, niedergeschlagenen Eindruck. Besonders deprimierend empfanden wir die Lage der Flüchtlinge aus dem Kosovo und der Krajina (Kroatien), die in notdürftigsten Baracken untergebracht waren.

Von einer »Diktatur« war in Serbien im Herbst 1999 nichts zu spüren: Bei unserem Eintreffen in Valjevo am 5.Oktober fand gerade eine Großkundgebung mit dem Führer der prowestlichen Opposition, Zoran Djindjic, statt. In der Stadt selbst waren zahlreiche ihrer Plakate zusehen, ihre Zeitungen, Rundfunk- und TV-Anstalten – sechs private Lokalfernsehstationen allein in Valjevo – arbeiteten völlig ungehindert. Während die Bevölkerung der BRD keine Möglichkeit hatte, sich aus serbischen Medien zu informieren – die NATO hatte Satellitenübertragungen des jugoslawischen Fernsehens unterbunden, war die serbische Bevölkerung mit ihren zahlreichen Satellitenschüsseln sehr gut unterrichtet über die Kriegshetze und die bösartigen Verleumdungen, die unsere Sender ausstrahlten. Zurückgekehrt nach Pfaffenhofen berichteten wir auf Veranstaltungen und an Infoständen über unsere Eindrücke in Serbien und die Gespräche mit der dortigen Bevölkerung. Wegen des bevorstehenden Winters hatten wir beschlossen, unmittelbar mit den Vorbereitungen für unseren nächsten Hilfstransport zu beginnen. Die Resonanz war beeindruckend: Alle weiterführenden Schulen und wieder alle Kindergärten beteiligten sich an den Vorbereitungen. Allein die Schüler der Berufsschule spendeten über 5000 DM. Gesammelt wurde auch in Betrieben. So konnten wir Weihnachten 1999 zum zweiten Mal nach Valjevo fahren, dieses Mal mit zwei Sattelschleppern und 40 Tonnen medizinischen Hilfsgütern, Lebensmitteln und Kleidung.Ein Dutzend weitere Hilfstransporte folgten seitdem, bei denen wir u.a. eine komplette Dialysestation mit Wasseraufbereitungsanlage für das Krankenhaus, 50 Betten, Notstromaggregate, Rettungswagen, Ausrüstung für Schulen, Kindergärten und Waisenhaus lieferten. Für uns sind diese Hilfstransporte konkrete Solidarität, aber auch eine Möglichkeit, viele unserer Bürger einzubeziehen und ihnen zu zeigen, welche verheerenden Auswirkungen die NATO-Bombenund das jahrlange Embargo für die dortige Bevölkerung hatten.

Jugendaustausch

Eines war bei unseren ersten Gesprächen in Valjevo immer wieder Thema: Die Jugendlichen, die bereits an allen Grundschulen eine Fremdsprache, sei es Deutsch, Englisch, Französisch oder Russisch lernten, wollten gerne zu einem Besuch nach Deutschland kommen.

Als wir im Frühjahr 2000 bei den zuständigen Ausländerbehörden wegen Einreiseerlaubnissen nachfragten, wurden wir informiert, daß laut Innenministerbeschluß für Serben keine Visa ausgestellt werden dürfen. Dieses Verbot galt selbst dann, wenn beispielsweise Großeltern ihre Enkelkinder in Deutschland besuchen wollten. Zuletzt fanden wir eine Möglichkeit: Wir reisten nach Belgrad und erhielten dort im deutschen Konsulat die nötigen Papiere.

Für die Ostertage organisierten wir eine Busreise nach Valjevo. Auf der Rückfahrt nahmen wir zwölf Jugendliche und zwei Lehrerinnen nach Pfaffenhofen mit. Es war die erste Schülergruppe aus Serbien nach dem NATO-Krieg, die in Deutschland über Erlebtes berichtete. Über Wochen hinweg hatten sie mit ihren Familien aus Angst vor den Bombenangriffen in überfüllten Kellern schlafen müssen.

Bereits zwei Monate später hatte das Tanz- und Folkloreensemble des zerstörten Kombinats »Krusik« bei den Kulturtagen unserer Stadt ein Gastspiel. Auch im benachbarten Schrobenhausen wurde die serbische Gruppe gefeiert. Es ist zu einer schönen Tradition geworden, Schüler und Künstler – Folkloregruppen, Jazzmusiker, Maler und Schriftsteller aus Valjevo einzuladen. Im Gegenzug versuchen wir immer, mit Künstlern aus unserer Region im Augustau den Kulturwochen »Tesnjarske veceri« in Valjevo teilzunehmen. Über 200 Schüler ausValjevo haben mittlerweile jeweils eine Woche mit einem umfangreichen Besuchsprogramm bei uns verbracht. Für Lehrkräfte, Ärzte und Krankenschwestern organisieren wir Praktika.

Kriegsfolgen gegenwärtig

Wer heute nach Valjevo fährt, kann die Folgen dieses Krieges und der dem Land diktierten neoliberalen Wirtschaftspolitik überall sehen: Nach der völligen Öffnung Serbiens und der Beseitigung jeglicher Importbeschränkungen wurde das Land mit westlichen Industriewaren überschwemmt und der eigenen Industrie der Binnenmarkt genommen.

Kein Wunder, wenn die Republik heute ein riesiges Handelsbilanzdefizit aufweist und hochverschuldet ist. Auch in Valjevo haben die größeren Betriebe der Möbel-, Textil- und Lebensmittelindustrie schließen müssen. Typisch der Fall des Fruchtsaftherstellers »Srbijanka«: Das Unternehmen hatte mit seinen 1000 Beschäftigten eine zentrale Bedeutung für den dort traditionell starken Obstanbau (Zwetschgen, Himbeeren). Während heute an jeder Ecke der Stadt Automaten mit Coca-Cola, Fanta und Sprite stehen, mußte Srbjianka seine Produktioneinstellen.

Statt die eigenen Schlüsselindustrien wieder aufzubauen und zu modernisieren, setzen die neuen Regierungen in Belgrad entsprechend den Vorgaben aus Brüssel und Berlin auf Privatisierung und ausländische Investoren. Mit niedrigsten Unternehmenssteuern (zehn Prozent!), Steuerbefreiungen bis zu zehn Jahren bei größeren Investitionen und Zuschüssen von bis zu 10000 Euro für jeden neu geschaffenen Arbeitsplatz versuchen sie, Investoren anzulocken. Die Ergebnisse sind äußerst bescheiden: Nur zwei ausländische Konzerne, der slowenische Küchengerätehersteller Gorenje und ein italienischer Strumpfproduzent haben in Valjevo ein Werk für wenige hundert Arbeitskräfte gebaut.

Für die Tausenden Industriearbeitsplätze, die durch die Zerstörung von Krusik vernichtet wurden, ist das kein Ausgleich. Die Folge: Die Arbeitslosigkeit liegt bei 30 Prozent, und insbesondere die Jugend sieht kaum Perspektiven. Statt der Industrie sind die Banken aus Österreich, Italien, Griechenland und Deutschland gekommen. 18 ausländische Kreditinstitute eröffneten eine Filiale in Valjevo. Viele Betriebe und Bürger haben ihren Versprechungen vertraut und in den vergangenen Jahren Kredite aufgenommen, um zu investieren, Geschäfte und Häuser zu modernisieren. Heute werden sie erdrückt von den Schulden, denn ihr serbischer Dinar hat seit letzten Sommer gegenüber dem Euro gut 20 Prozent an Wert verloren. Der Kredit aber wurde in Euro vereinbart. Heute diktiert der IWF dem hochverschuldeten Land die Wirtschaftspolitik: trotz Krise rigorose Kürzungen bei Staatsausgaben, Vernichtung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, Einfrieren der Löhne und Pensionen ungeachtet zweistelliger Inflationsraten.

Elf Jahre nach dem NATO-Krieg braucht Serbien unverändert unsere Solidarität. Das Land hat bis heute keinen einzigen Euro Entschädigung erhalten für die Zerstörungen seiner Industrie und Infrastruktur. Es wird starker Druck auf die Regierung in Belgrad ausgeübt, der NATO beizutreten. Nach wie vor ist vieles von den bösartigen Verleumdungen des serbischen Volkes durch unsere Medien in den Köpfen unserer Bevölkerung präsent.

Unser Verein wird auch in diesem Jahr Schüler und Künstler aus Valjevo einladen. Wir werden unsere humanitäre Hilfe speziell für die dortigen Kindergärten und Schulen fortführen.Dafür sind wir dringend auf Spenden angewiesen. Besonders interessiert sind wir auch an Künstlern und Musikgruppen, die in der zweiten Augustwoche mit uns zu den »Tesnjarskeveceri« nach Valjevo fahren wollen.

Bernd Duschner ist Mitbegründer und Vorsitzender des Vereins »Freundschaftmit Valjevo e.V.«

Kontakt: Freundschaft mit Valjevo e.V., Samhofstr. 2a, 85276 Pfaffenhofen a.d. Ilm; Telefon:08441/789220; E-Mail: bernd@freund schaft-mit-valjevo.de.

Spendenkonto: »Freundschaft mit Valjevo«: Sparkasse Pfaffenhofen, BLZ: 72151650, Kontonummer: 8011991

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