Drücke "Enter", um den Text zu überspringen.

Statt Unabhängigkeit der Status eines Protektorats

Dr. Hannes Hofbauer sprach über die Situation im heutigen Kosovo, 28.11.2008

Experiment Kosovo“ heißt das neue Buch des österreichischen Historikers und Publizisten Dr. Hannes Hofbauer. In ihm beschäftigt sich der Osteuropaexperte mit der aktuellen Lage im Kosovo und der Politik von UNO und EU. Am vergangenen Freitag sprach Dr. Hofbauer auf Einladung der Freunde von Valjevo vor knapp 40 Zuhörern, darunter einer Reihe Kosovo-Albaner, im „Hotel Müllerbräu“.

Dr. Hannes Hofbauer in Pfaffenhofen

Seit dem Ende des Natokrieges 1999 gegen Jugoslawien, so Hofbauer, wird das Kosovo von der UNO unter starker Mitwirkung von EU und Nato verwaltet. In dieser Zeit haben neun UN Sonderbeauftragte hintereinander für jeweils kurze Zeit die UNO Interimsverwaltung geleitet. Sie haben dabei versucht, die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Region nach neoliberalen Vorstellungen umzugestalten. Ihr selbst proklamiertes Ziel eines multiethnischen, demokratischen Kosovo mit einer sich entwickelnden Marktwirtschaft haben sie, so Hofbauer, nicht erreicht. Die serbische Minderheit ist mittlerweile weitgehend aus dem Kosovo vertrieben. Die meisten der im Kosovo verbliebenen 120.000 Serben leben in einem zusammenhängenden Siedlungsgebiet nördlich des Flusses Ibar, das sich der Kontrolle durch Pristina entzieht. Die Wirtschaft des 2 Millionen Einwohner Landes, die bereits durch die Krise Jugoslawiens in den 80er und 90er Jahren und den Krieg geschwächt war, liegt danieder. Dazu hat nach Auffassung von Hofbauer die völlige Öffnung des Landes für Importe aus dem Ausland entscheidend beigetragen. Dieser Konkurrenz war die rückständige Industrie und Landwirtschaft nicht gewachsen. Die Betriebe werden nach Vorgaben der UNO ohne jegliches Mitspracherecht von Bevölkerung und Beschäftigten privatisiert und ohne Verpflichtung, Arbeitskräfte und Altlasten zu übernehmen, an ausländische Investoren verkauft. Soziale Absicherung, Krankenversicherung, Arbeitnehmerrechte wie Koalitionsfreiheit oder Kündigungsschutz sind im heutigen Kosovo unbekannt. Die Arbeitslosenquote liegt bei 50%. Rund 60% der Bevölkerung müssen mit weniger als 45 EUR im Monat auskommen. Dazu steht, kritisierte Hofbauer, das Leben der rund 70.000-100.000 Mitarbeiter von UNO, EU, Nato und Nichtregierungsorganisationen im Kosovo im völligen Kontrast. Sie kommen aus über 60 Ländern, kennen weder Kultur noch Sprache des Landes, beziehen aber üppige Gehälter und halten sich ein ganzes Herr an Übersetzern, Fahrer und sonstigen Helfern.

Vor diesem Hintergrund wächst die Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Mit Vetevendosje („Selbstbestimmung“) hat sich mittlerweile eine breite Bewegung gebildet, die bei ihren Kundgebungen wie vor wenigen Tagen in Pristina bis zu 30.000 Teilnehmer gegen die „Fremdherrschaft“ mobilisiert. Die einseitige völkerrechtswidrige Ausrufung Kosovos als formal selbständiger Staat, der bis heute weder von der UNO und noch der weit überwiegenden Mehrheit der Staaten, noch von Serbien als getroffenen Staat anerkannt wird, sollte, so Hofbauer, USA und EU dazu dienen, die albanische Bevölkerung beruhigen. Sie ziele darauf ab, die Abtrennung von Serbien irreversibel zu machen und die UN- Verwaltung schrittweise durch eine Verwaltung durch die EU abzulösen. An der Situation des Kosovo als Protektorat habe sich grundsätzlich nichts geändert. So sehe die neue Verfassung ausdrücklich nur eine „überwachte Unabhängigkeit“ vor und gebe dem Internationalen Zivilen Repräsentanten der EU im Kosovo (ICR) die Befugnis, jeden Beamten und Parlamentarier zu entlassen, jedes Gesetz annullieren und jegliche Entscheidungen der dortigen Institutionen zu korrigieren. Er kontrolliert Geld- und Wirtschaftspolitik des Landes und leitet die EU Mission EULEX, mit der Rechtsprechung, Polizei, Verwaltung nach den Vorstellungen der EU aufgebaut und gestaltet werden sollen. Mit „Bondsteel“, dem größten US Militärstützpunkt in Europa, und 18.000 Nato- Soldaten im Land sei das Land auch militärisch fest unter Kontrolle. Die untragbare soziale Lage der breiten Bevölkerung, so der Referent, kann sich auch in Zukunft in ethnischen Auseinandersetzungen entladen. Die Wunden zwischen Serben und Kosovoalbanern, das haben die Diskussionsbeiträge auf der Veranstaltung gezeigt, sind noch nicht verheilt. Wenn sich der mehrheitlich von Serben bewohnte rohstoffreiche Norden des Kosovo abspaltet oder wenn, wie im Ahtisaari Plan vorgesehen, der serbisch – orthodoxen Kirche die großen Ländereien, die ihr unter Tito genommen wurden (9% der Fläche des Kosovo!), zurück zugeben sind, könnte es zu Unruhen kommen. Die Zeit drängt, die sozialen Probleme des Landes zu lösen. Funktionieren kann das allerdings nur, so Hofbauer, wenn nicht mehr von fremden Mächten und internationalen Organisationen über die Köpfe der Bevölkerung entschieden wird, sondern die Bürger des Kosovo selbst das letzte Wort haben und ihre Interessen zur Geltung kommen.

Schreibe einen Kommentar