Im vergangenen Dezember hat die islamistische HTS, früher Al-Nusra, die Macht in Damaskus übernommen. Ihr Chef Ahmad al-Sharaa, unter dem Kampfnamen „Al-Jolani“ mehr als ein Jahrzehnt Führungsmitglied von Al Kaida, des Islamischen Staates und Al Nusra, ist der neue Staatschef von Syrien. Präsident Trump pries al-Sharaa nach ihrem persönlichen Treffen im Mai in Riad als „jungen, attraktiven Mann. Harter Kerl. Starke Vergangenheit, Kämpferisch.“ (1)
AUF DEM WEG IN EIN ISLAMISTISCHES KALIFAT
In Syrien wird ein autoritäres islamistisches Regime errichtet, in der sich alle Macht in den Händen von HTS-Chef al-Sharaa konzentriert. Die vorläufige Verfassung, die im März von den neuen Machthaber in Kraft gesetzt wurde, macht dies deutlich. In dieser Verfassung heißt es:
Der Präsident der Republik muss ein Moslem sein. Die Grundlage der Gesetzgebung bildet die Scharia (Artikel 3). Der Präsident ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und verantwortlich für die Leitung der staatlichen Angelegenheiten (Artikel 32). Er ernennt sämtliche 7 Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes (Artikel 47) und ein Drittel der Abgeordneten des Parlaments, „um eine faire Repräsentation und Effizienz zu sichern“. (Artikel 24), Der Präsident ernennt und entlässt die Mitglieder der Regierung (Artikel 35). Gegen seinen Einsprach kann das Parlament Gesetze nur mit 2/3 Mehrheit verabschieden (Artikel 39). (2)
ANGST UNTER DEN MINDERHEITEN
In Syrien leben seit Jahrhunderten unterschiedliche Volksgruppen und Religionsgemeinschaften. Der syrische Staat hatte bisher eine säkulare
Regierung. Seit den zahlreiche Massakern an Alawiten und Drusen durch Jihadisten herrscht auch unter den Christen große Verunsicherung und Angst. Viele Gemeinden begehen ihre Feierlichkeiten nur noch innerhalb der eigenen Räumlichkeiten. Selbst dort sind Christen nicht in Sicherheit wie der Terroranschlag am 22. Juni in der griechisch-orthodoxen Kirche Sant`Elia in Damaskus gezeigt hat. 30 Gläubige wurden dabei getötet, 63 verletzt. Viele Opfer konnten im Italienischen Krankenhaus, mit dem wir seit Jahren zusammenarbeiten, behandelt werden. Unter den Toten war die Pharmakologiestudentin Mariana Al Durra, Enkelin einer der Don-Bosco Schwestern, die dieses Krankenhaus leiten.
KEINE VERBESSERUNG DER LEBENSBEDINGUNGEN
ES DROHT EINE SCHWERE HUNGERSNOT
Nachdem USA und EU ihr Ziel eines „Regimechanges“ in Damaskus mit der Regierungsübernahme durch al-Sharaa und seine HTS erreicht haben, haben sie ihre Sanktionen weitestgehend ausgehoben. Eine Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist bisher nicht eingetreten.
Die Leiterin des Italienischen Krankenhauses hat uns einige Probleme genannt: Das Warenangebot auf Märkten und in Geschäften ist zwar größer geworden, allerdings fehlt der völlig verarmten Bevölkerung das notwendige Geld zum Einkauf. Geld fehlt auch den Banken und der Regierung. Guthaben bzw. Gehälter werden nur stark verzögert und in kleinen Teilbeträgen ausbezahlt. Selbst in Damaskus gibt es nur 4 Stunden am Tag Strom. Zudem herrscht aufgrund anhaltender Dürre ein großer Wassermangel. Die hohen psychischen Belastungen durch den Krieg, die durch ihn verursachte Umweltverschmutzung und die mangelhafte Ernährung haben die Zahl der Erkrankungen, darunter speziell von Krebs stark ansteigen lassen. Für eine Behandlung fehlen meist die notwendigen Fachkräfte und bezahlbare Medikamente. Treibstoff, unverzichtbar für die Ingangsetzung von Industrie, Landwirtschaft, Transport- und das Verkehrswesen ist weiterhin knapp und äußerst teuer, da die syrischen Ölverkommen im Nordosten des Landes unverändert von US-Truppen besetzt sind. Ein besonders gravierendes Problem stellt die fehlende öffentliche Sicherheit dar. Nach Auflösung der bisherigen Polizei und Sicherheitsbehörden haben Bandenkriminalität, Einbrüche, Raubüberfälle, Entführungen und Lösegeld-Erpressungen explosionsartig zugenommen.
Mittlerweile warnen die zuständigen UN-Organisationen vor einer schweren Hungersnot infolge anhaltender Dürre, niedriger Niederschläge und großer Schäden am Wasser- und Abwassernetz. Bereits jetzt kann sich die Hälfte der Bevölkerung nicht ausreichend ernähren. In diesem Jahr, so die FAO, dürfte die Weizenproduktion um 40% niedriger als im Vorjahr ausfallen. Die Folgen werden für Millionen Syrer eine Hungersnot sein. (3)
Israel hat die aktuelle Schwäche Syriens genutzt und die Kontrolle über die strategischen Wasserreserven des Landes im Bereich des Mount Hermon, über eine Reihe wichtiger Quellen und über den Fluss Yarmouk an sich gerissen. Die Krise in der Wasserversorgung der syrischen Bevölkerung dürfte sich auch deshalb weiter vertiefen. (4)
UNSERE HUMANITÄRE HILFE
Unsere bald 10 jährige Zusammenarbeit mit dem „Italienischen Krankenhaus“ in Damaskus können wir bisher unverändert weiterführen. Ein Großteil seiner 35 Ärzten und 180 Mitarbeitern sind Alawiten, Christen und Drusen. Die Zusammensetzung der Belegschaft spiegelt ein Syrien wider, das ethnische und religiöse Diskriminierung nicht kannte. Entsprechend ist es für alle Kranken offen, die seine Hilfe suchen. Es verfügt über eine vergleichsweise gute, wenn auch veraltete technische Ausstattung. Allerdings hat das Krankenhaus ständig mit Stromausfall zu kämpfen. Der Generator, der zur Überbrückung verwendet wird, ist wie die gesamte Technik sehr alt und störungsanfällig. Die hohen Treibstoffkosten für den Generator und die beiden eigenen Busse, mit denen die Beschäftigten jetzt aus Sicherheitsgründen nach der Arbeit nach Hause gefahren werden, sind eine kaum tragbare finanzielle Belastung für das Krankenhaus. Vor allem aber fehlen Ärzte und Fachkräfte nachdem so viele von ihnen ins Ausland abgewandert sind. Mit der Finanzierung der Ausbildung von medizinischen Hilfskräften konnten wir helfen. 22 Teilnehmer dieses über mehrere Monate dauernden Ausbildung erhielten jetzt ihr Abschlusszeugnis. Mit Spendengelder können wir auch in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus den Zusatzunterricht für knapp 150 Schüler in Mathematik und einer Fremdsprache finanzieren. In den Sommerferien wurde für sie auf dem Gelände des Krankenhauses ein Freizeitangebot organisiert, wo sie sich in Geborgenheit erholen und fröhliche Stunden verbringen konnten..
1.https://www.berliner-zeitung.de/news/trump-schwaermt-von-syriens-praesident-al-scharaa-li.2324924
4.https://english.almayadeen.net/articles/features/millions-of-syrians-are-at-risk-of-water–food-insecurity-th