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Abschieben und weitermachen wie bisher?

Gegen die drohende Abschiebung mehrerer Asylbewerber im Landkreis Pfaffenhofen hat unser Verein mittlerweile über 500 Unterschriften gesammelt. Nachfolgend ein Leserbrief zur aktuellen Diskussion, der am 20.März 2014 im „Pfaffenhofener Kurier“ erschienen ist:

Hauptsache Abschieben und Weitermachen wie bisher?

Am vergangenen Samstag habe ich den 21 jähriger afghanischen Flüchtling Sharif im Krankenhaus besucht. Er hatte versucht, sich das Leben zu nehmen.

Sharif hatte ich wenige Monate nach seiner Ankunft in Deutschland im Frühsommer 2010 in einer „Sammelunterkunft“ kennengelernt. Wir haben ihn für eine Woche bei den Tagesausflügen mitgenommen, die wir für unsere serbischen Schüler aus Valjevo organisierten. Er hatte große Hoffnungen und Vertrauen in seine Zukunft. Sharif gehört zu der in Afghanistan diskriminierten schiitischen Volksgruppe der Hazara. Wegen der ständigen Kriegshandlungen und persönlichen Bedrohungen schickte seine Mutter den 15 jährigen nach dem Tod des Vaters ins benachbarte Pakistan. Dort leben Hunderttausende afghanische Flüchtlinge unter erbärmlichsten Bedingungen. Nach einem Jahr ging es weiter nach Teheran. Auch die iranische Hauptstadt ist überfüllt mit afghanischen Kriegsflüchtlingen. Als Illegale sind sie gezwungen, jede noch so schlecht bezahlte Arbeit zu übernehmen. Jugendlichen Flüchtlinge sind Übergriffen jeglicher Art und der Willkür der Polizei schutzlos ausgeliefert. Sharif lebte dort gemeinsam mit 15 weiteren Flüchtlingen 18 Monate in zwei Kellerverstecken und verdiente sich seinen Unterhalt als Hilfsarbeiter. Eisern sparte er sich ein wenig Geld zusammen. Dann ging die Flucht weiter durch die Türkei, in einem kleinen überfüllten Schlauchboot zu einer griechischen Insel und schließlich über Italien nach Deutschland.

Seit mehr als 35 Jahren (!) herrscht in dem geostrategisch wichtigen Afghanistan Krieg. Das Land ist weitgehend zerstört und völlig verarmt. Rechtssicherheit, eine funktionierende Gesundheitsversorgung, Chancen für eine legale Beschäftigung außer beim Militär gibt es nicht. Eine unvorstellbare Brutalisierung und allgegenwärtige Gewalttätigkeit prägen das Leben der gesamten Gesellschaft. Die Bundesregierung setzt sich nicht mit der Frage auseinander, ob nicht auch sie durch ihre Beteiligung an der  militärischen Intervention und Besetzung des Landes seit 2001 (!)  am Elend des afghanischen Volkes mitverantwortlich ist. Mit den Flüchtlingen jedenfalls will sie nichts zu tun haben. Bereits im Mai 1993 wurde unser Asylrecht durch eine Grundgesetzänderung weitgehend abgeschafft: Wer als Flüchtling auf dem Landweg durch ein „sicheres Drittland“ nach Deutschland einreist, und „sichere Drittländer“ sind nach derzeit geltenden Rechtslage alle (!) an die Bundesrepublik angrenzenden Staaten, kann sich nicht auf das Asylrecht berufen. Das Dublin II Abkommen ermöglicht seine Abschiebung in das Land, über das er eingereist ist. Bei „unseren“ afghanischen Flüchtlingen ist das meistens Ungarn. Die Bundesregierung kann so das Problem „Flüchtlinge“ bequem auf die wirtschaftlich wesentlich schwächeren süd- und osteuropäischen EU-Randstaaten abwälzen. Wen kümmert es, dass es dort vor dem Hintergrund hoher  Arbeitslosigkeit und einer drastischen Verarmung breiter  Teile der Bevölkerung immer häufiger zu rassistischen Übergriffen gegen die Flüchtlinge kommt? Wen kümmert es, dass sie dort keine Zukunft haben und wahrscheinlich kaputtgehen werden? Sharif sollte direkt nach Afghanistan abgeschoben werden. Als er sich weigerte, die dafür erforderlichen Papiere zu besorgen, entzogen ihm die Behörden die Arbeitserlaubnis und kürzten sein Bargeld auf 5 EUR 91 im Monat. Über Monate hatte er nur die Essenspakete und 5 EUR 91 zum Leben. Ich konnte seinen Verfall beobachten. Einmal jede Woche rief ihn seine über alles geliebte Mutter aus einer Ladengeschäft im pakistanischen Quetta an. Dorthin war sie zuletzt mit seinen Geschwistern geflüchtet. Stets bat sie Sharif, durchzuhalten. Der letzte Anruf kam vom Ladenbesitzer selbst: ein Selbstmordattentäter hatte mit einer Bombe auf dem Marktplatz Dutzende Hazara in den Tod gerissen. Unter den Toten befanden sich Sharif`s Mutter und seine Geschwister. Sharif hat keinen Lebenswillen mehr. Wir brauchen ihn nicht mehr abschieben. Sobald er wieder eine Gelegenheit hat, will er selbst Schluss machen, wie er mir versicherte. Im gleichen Krankenhaus habe ich anschließend noch ein kleines afghanisches Mädchen besucht. Es hat seine Eltern bei der Explosion einer Personenmine verloren und wurde dabei selbst schwer verletzt.  Afghanistan ist voll von Personenminen. Nicht wenige stammen von „Markenherstellern“  aus Deutschland. Ich werde am Samstag wieder auf dem Hauptplatz Unterschriften für unsere Flüchtlinge sammeln.  Wenn wir uns als Bürger hinter sie stellen, sind Abschiebungen zu verhindern. Das Flüchtlingselend aber wird nur dann sein Ende finden, wenn wir nicht mehr bereit sind, Waffenexporte, „Militärinterventionen“ und die Ausplünderung der Dritten Welt stillschweigend hinzunehmen.