Angesichts der gestiegenen Zahl an Asylbewerbern aus dem Kosovo hat der örtliche Landtagsabgeordnete Karl Straub vor wenigen Tagen eine Presseerklärung mit dem Titel „Stopp dem massenhaften Asylmissbrauch“ veröffentlicht. In ihr fordert er weitere Herkunftsländer wie Albanien, Kosovo und Montenegro als „sichere Herkunftsländer“ einzustufen, so dass Flüchtlinge aus diesen Ländern generell keinen Anspruch auf Asyl stellen können. Zudem sei die EU Außengrenze „wirksamer zu sichern“, Asylbewerbern aus diesen Ländern nur noch Sach- statt Geldleistungen zu gewähren und sie schnell abzuschieben.
Die Frage, weshalb diese Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und wer die Verantwortung für die katastrophalen wirtschaftliche, sozialen und politischen Verhältnisse im heutigen Kosovo trägt, darüber hat er sich Herr Straub leider keine Gedanken gemacht.
Dazu nachfolgender Leserbrief, der am 21.2. 2015 im „Pfaffenhofener Kurier“ veröffentlicht wurde.
Abschiebungen sind keine Lösung
Immer wenn Flüchtlingszahlen ansteigen, glauben führende Politiker unserer großen Parteien, mit markigen Sprüchen die Stammtische für sich gewinnen zu müssen. Pauschal und ohne jeden Beleg wird den Flüchtlingen aus dem Kosovo unterstellt, sie wollten bei uns nur bequem Sozialleistungen einstreichen, also auf „unsere Kosten leben“. Die Außengrenzen der EU müssten vor ihnen „wirksamer gesichert“, Asylbewerbern aus dem Balkan generell das Recht auf ein ordentliches Asylverfahren genommen und sie schnellstmöglich wieder abgeschoben werden. Bei solchen Parolen müssen wir uns nicht wundern, dass die Übergriffe gegen Flüchtlinge und Asylbewerberunterkünfte in den letzten Monaten deutlich zugenommen haben.
Auf den Gedanken, sich mit den Ursachen dieser Fluchtbewegungen auseinanderzusetzen und sich die Frage zu stellen, in wie weit die deutsche und westliche Politik am weltweiten Flüchtlingselend mit verantwortlich ist (Interventionskriege in Afghanistan, Irak, Libyen, Wirtschaftsblockade und Bewaffnung von Aufständischen in Syrien, Waffenexporte), kommen diese Politiker nicht.
Im Kosovo, nur eine Tagesreise mit dem Pkw von uns entfernt, herrscht bedrückende Armut: über 45% der dortigen Bevölkerung haben weniger als 1 EUR 42 pro Tag zur Verfügung. 16 % der Kinder sind von Nahrungsmangel und dadurch verursachten Wachstumsstörungen betroffen. Mehr als 35% aller Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 24 besuchen weder eine Schule noch gehen sie einer Ausbildung und Beschäftigung nach. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 45%, die Jugendarbeitslosigkeit bei 75%. Es ist die pure Verzweiflung, die diese Menschen veranlasst, ihr letztes Hab und Gut zu Geld zu machen, damit Schleuser sie nach Mitteleuropa bringen. Dort hoffen sie, Arbeit zu finden. Da es für sie keine legalen Einwanderungsmöglichkeiten in die EU-Länder gibt, bleibt ihnen nur der Weg über einen Asylantrag, auch wenn ihre Erfolgschancen äußerst gering sind. Dabei sollten wir nicht unterschlagen, dass es im
Kosovo bis heute immer wieder zu gravierenden Übergriffen gegen Angehörige von Minderheiten wie Serben und Roma kommt und von einem funktionierenden Rechtsstaat keine Rede sein kann. Eine pauschale Beseitigung des Asylrechtes für Bürger aus dem Kosovo ist deshalb durch Nichts zu rechtfertigen.
Für die wirtschaftliche Misere des Landes sind EU und die deutsche Politik mit verantwortlich. 1999 erzwang die Nato die Abtrennung der Region von Serbien. Die hohe und rasch steigende Zahl der Krebskranken im Land sind eine bleibende Folge des massenhaften Einsatzes von Uranmunition in diesem Krieg durch die Nato. Über ein Jahrzehnt (!) wurde das Land anschließend von UN und EU Vertretern als internationales Protektorat verwaltet bis es endlich 2012 (!) die volle Souveränität erhielt. In diesen Jahren gestalteten die EU-Vertreter den Kosovo im Interesse ihrer Konzerne nachhaltig um: sie ließen lukrative Unternehmen über die neu geschaffene Kosovo Treuhand Agentur verkaufen, senkten radikal die Zölle und hoben jegliche Importbeschränkungen auf. EU- Konzerne konnten so den Kosovo ungehindert mit ihren Waren überschwemmen und die lokalen Produzenten in Landwirtschaft, Handwerk und Industrie endgültig in den Ruin treiben. Die hohe Arbeitslosigkeit ist die direkte Folge dieser Politik. Der einzige Wirtschaftssektor, der heute im Kosovo ungehindert blüht, sind Drogenhandel, Zwangsprostitution und Geldwäsche. Das ist möglich, weil führende Politiker des Landes, deren sich die Nato im Krieg 1999 bedient hat, wie UCK Gründer Hashim Thaci, Ramush Haradaj und Xhavit Haliti nach übereinstimmenden Berichten des Bundesnachrichtendienstes, der Nato und der EU selbst zur Organisierten Kriminalität gehören. Die Flüchtlinge aus dem Kosovo in ihr „sicheres Land“ wieder abzuschieben, löst kein Problem. Diese Menschen werden notgedrungen wieder kommen, weil sie im Kosovo keine Existenzgrundlage für sich und ihre Familie haben. Wir brauchen vielmehr, insbesondere für die dortige Jugend, legale Einwanderungsmöglichkeiten in die EU, damit diese Menschen einen Arbeitsplatz finden können. Wir brauchen für den Kosovo großzügige Investitions- und Kreditprogramme der EU, die sich an den Interessen der dortigen Bevölkerung orientieren und gezielt die lokale Wirtschaft im Kosovo, seine Landwirtschaft, Handwerk und Industrie wieder aufbauen und stärken. Wohlstand nur in Mitteleuropa und wachsendes Elend in seinen südlichen und östlichen Randstaaten, das kann und wird auf die Dauer nicht funktionieren. Da werden auch keine noch so hohe Mauern um die EU helfen.
Bernd Duschner
Literaturempfehlung: Experiment Kosovo. Die Rückkehr des Kolonialismus von Hannes Hofbauer