Wir sind eine Gruppe von Italienern, 4 Männer und 4 Frauen. Am 28. Juli waren wir in Libyen eingetroffen. Wir sind als Privatleute gereist, nicht als Mitglieder einer Agentur. Wir versuchen, etwas für diese Menschen zu tun, zu berichten, was wir sehen, die Medien zu sensibilisieren und eine humanitäre Aktion in Gang zu setzen, die Lebensmittel und Hilfe bringen könnte.
Die Lage in Tripolis erschien uns bei unserer Ankunft gut zu sein. Wir hatten die tunesische Grenze von Djerba kommend über Ras Ajdir überquert und waren nach einer schweren Reise entlang der gefährlichen Küstenstrasse Richtung Sabratha und Tajura in Tripolis angekommen.
Die Situation an der Grenze ist sehr angespannt. Auf beiden Seiten gab es kilometerlange Schlangen von Reisenden. Viele Libyer kehrten zurück, um den Ramadan in ihrer gemarterten Heimat zu verbringen, andere verließen das Land auf dem Weg nach Tunesien oder um zu versuchen, sich mit Benzin einzudecken.
Aktuell gehört der Mangel an Treibstoff zu Problemen, die sofort ins Auge fallen. Die einzigen beiden Tankstellen, die wir auf unserer nächtlichen Reise (rund 300 km) vorfanden, wurden von Fahrzeugen, die auf ihre Öffnung warteten, buchstäblich belagert. Es dürften 2-3 Tausend Autos vor jeder Tankstelle gewartet haben.
Die Libyer wechseln sich ab. Eine Person kümmert sich jeweils um 8, 9, 10 Autos, schiebt mit eines nach dem anderen mit der Hand mühsam jede Stunde einige Meter weiter. Wahrscheinlich braucht man mehrere Tage, um endlich bis zur Tankstelle vorzukommen in der Hoffnung, dass diese noch genügend Treibstoff hat (vergebliche Hoffnung. Bei der Rückfahrt gab es keine Reihen mehr, Benzin war nicht mehr aufzutreiben).
Nach unserer Ankunft im Rixos, einem 5 Sterne Hotel für Journalisten, dem einzigen, das noch richtig arbeitet, haben wir die ersten Bomben wahrgenommen. Die Explosionen dauerten mit einer kleinen Unterbrechung zwischen dem 1. und 2. August die ganze Zeit an und wurden danach stärker als je zuvor.
Unglaublicherweise haben wir uns nach 2-3 Tagen an sie gewöhnt. Das Lärm der Bomben bildete eine makabre Geräuschkulisse, die uns ständig begleitete. Die Leute in Tripolis und den anderen Städten in diesem Landesteil wie Zuwarah, Surman, Az-Zawiyah, Zlitan sind stark vom Krieg betroffen. Dieser Krieg hat unter der Bevölkerung zu einem beeindruckenden Zusammenhalt und Zusammenarbeit geführt. Sie helfen sich mit den Autos aus. Wer zu Fuß ist, wie der größte Teil, wird mitgenommen. Wer ein Fahrzeug ohne Benzin hat, zahlt dem, der noch ein halbwegs fahrendes Fahrzeug hat, einen Dinar. Öffentliche Verkehrsmittel gibt es praktisch nicht mehr. Immer weniger Geschäfte sind geöffnet. Lebensmittel und grundlegende Versorgungsgüter werden zur Mangelware.
Die Nato bombt weiter, trifft militärische Ziele und manchmal unbeabsichtigt (?) auch zivile Ziele; in den letzten Tage gehörten zu ihren Angriffszielen leider auch wichtige zivile Einrichtungen: Stromkraftwerke, Leitungen, Rundfunk und Fernsehen. Häufig gibt es in der Stadt kein Licht und Wasser. Das systematische Bombardieren hat nichts mit einer „Flugverbotszone“ zu tun. Selbst wenn eine solche in korrekter Weise eingerichtet worden wäre, gäbe es dafür keine Rechtsgrundlage. Dieses Instrument darf nicht bei internen Konflikten eingesetzt werden.
Am 31 Juli wurde auch das libysche Fernsehen bombardiert. Mit ihm wurde die Informationsfreiheit bombardiert. Nach wenigen Stunden Unterbrechung ging die Station wieder auf Sendung. Die Nato hat die Bombardierung der Sender und die 3 Toten und 15 Verletzten damit gerechtfertigt, die Sender würden mit ihren Bildern zur Gewalt aufstacheln. Wir haben aber diese Sendungen gesehen: Sie zeigten Menschen, die demonstrierten, Berichte über den Krieg, Interviews, Nachrichten, politische Propaganda und hin und wieder auch eine Seifenoper und Werbung.
Seit dem 1. August feiert man in Libyen den Ramadan und fastet. Von 5 Uhr am Morgen bis 8 Uhr am Abend isst und trinkt man nicht. Wenn man abends den Kühlschrank öffnet, findet man nur Ware, die dabei ist, kaputt zu gehen oder schon verdorben ist. Zwei Tage ohne Strom bei 35-37 Grad bedeuten,
dass alles verdirbt. Aus der Ferne versteht man nicht, was es heißt, wenn es kein Benzin gibt, um einzukaufen zu können, die Supermärkte sich leeren, die Vorräte kaputtgehen, weil der Strom fehlt. Es leiden Menschen, denen es vorher gut ging, und deren Leben jetzt zerstört ist. Kleine Kinder erhalten keine Milch mehr, Diabetiker, können ihr Insulin nicht gekühlt halten. (Das sind nur kleine Beispiele, an die man aus der Ferne nicht denkt).
Es sieht leider danach aus, als ob es die Resolution 1973 ermöglicht und erlaubt, ein Volk in eine solche Notlage zu bringen, dass ihm jegliche Mittel fehlen, um sich zu wehren, es eben völlig erschöpft ist. Die Schwächsten, die Kinder und Alten sind davon am stärksten betroffen.
Die Leute versuchen alles, um den Eindruck zu erwecken, das Leben gehe normal weiter. Am Freitag füllen sich die Strände, während von oben das beängstigende Brummen der Jagdflieger zu hören ist, die ungestört über den Köpfen kreisen. Luftwaffe und Marine wurden durch die Angriffen der Nato zerstört. Deshalb ist es für sie ein gefahrloses Kinderspiel, über Tripolis hinwegzufliegen. Die einzigen verbliebenen Mittel zur Verteidigung sind jetzt leichte Artillerie und Kalaschnikows. Sie wurden Millionenfach an die Bevölkerung verteilt. Nach dem Gebet strömen die Leute auf die Marktplätze und schreien ihre Wut hinaus. Sie richten ihren Blick hinauf zum Himmel, wo die Flugzeuge der Alliierten mit ihrer Arbeit zum „Schutz der Zivilisten“ erbarmungslos fortfahren.
Am 3. August fuhren wir zusammen mit Journalisten nach Zlitan. Am Tag zuvor hatte uns der libysche Pressesprecher Mussa Ibrahim bei einer Pressekonferenz gesagt, dass wir diese Stadt am nächsten Tag besuchen könnten. Sie ist nur wenige Kilometer von Misurata und der Front entfernt. Entlang der Strasse finden wir die schon gewohnte Trostlosigkeit vor. Es gibt kaum noch Versorgungseinrichtungen. Gleich bei der Ankunft sahen wir verschiedene zerstörte Wohngebäude und Einrichtungen. In einem Gebäude waren noch viele Leute, die protestierten und auf den Trümmern ausharrten. Es scheint, dass 4 Menschen, zwei Kinder, ihre Mutter und ihre Großmutter ums Leben gekommen waren. Ziel des Angriffes sei ein Professor gewesen, ein Freund der Familie Gaddafi, wie sie erzählten. Er scheint sich gerettet zu haben. Die Bomben haben das Haus im Morgengrauen getroffen. Einer sagt gleichsam als subtile Begründung für den Bombenangriff und den Mord, das Haus sei wohl zu schön für einen Professor gewesen. Wir fahren weiter, müssen ein Krankenhaus besuchen. Wir machen eine Abzweigung. Es sieht nach einer Beerdigung für einige Menschen aus, die in der Morgendämmerung starben. Wir kommen zu einer bescheidenen Moschee. Innen beten einige Hundert Menschen. Am Ende des Saales sind drei Särge aufgereiht, auf die Sonnenstrahlen durch die Gitter ein bedrückendes Mosaik zeichnen. Nach dem Gebet gehen die Menschen zu den Särgen, schlagen die Tücher zurück, die das Grauen verhüllten. Wir sehen zwei fürchterlich zugerichtete Kinder und einen Erwachsenen. Zwei Männer weinen besonders laut. Einer ist der Vater, der andere der Bruder eines der Opfer. Die Gesichter der kleinen Kinder sind fürchterlich entstellt. Einige Journalisten können die Tränen nicht zurückhalten. Das ist der Krieg, wie ihn die Flugzeugpiloten niemals zu Gesicht bekommen.
Sie bomben, meinen Hilfe zu bringen und bringen oft nur Tod und Zerstörung. Wir warten bis die Leute die armen Opfer begraben. Am Schluss sehen wir wie der Bruder eines der Opfer mit dem Maschinengewehr hinauf zum Himmel ballert. Es sieht so aus, als wolle er damit sein ganzes Leiden und seinen Hass auf die, die sie massakrierten, aus dem Gewehrlauf schießen. Er blickt zum Himmel hinauf und schreit etwas in Arabisch. Ich weiß nicht was er sagt, aber alle können es sich vorstellen: „ Seht her, was ihr angerichtet habt. Welche Schuld hatten diese Kinder? Warum hasst ihr uns? Warum lasst ihr uns nicht in Frieden?“
Auf der Rückfahrt kommen wir an einer Schule vorbei, die von den Bomben komplett zerstört wurde. Ich frage ein Kind, ob es weiß, warum sie getroffen wurde. Es gibt mir scherzhaft zur Antwort, es sei Ibrahim gewesen. Er wolle nicht in die Schule gehen. Anstatt über seinen Scherz zu lachen, sieht es mich wütend an als es versteht, dass ich Italiener bin. Es dreht sich um und geht weg ohne sich nochmals umzusehen.
Die Schule wurde um 5.30 am Morgen getroffen. Ein Journalist sagt uns, dass sie um diese Zeit bombardieren, weil sie wissen, dass die Kinder dann noch nicht in ihren Klassen sitzen. Ich frage: „Aber warum ein Schule“? Die Antwort lässt erschrecken: „Weil sich Truppen und Soldaten der Regierung dort verstecken und während der Nacht ausruhen könnten. In den Kasernen wären sie ein leichtes Ziel für die Bombenangriffe“. Das bedeutet, alles ist erlaubt, selbst die Bombardierung einer Schule, eines Kinderkrankenhaus, einer Moschee. Immer kann man sagen, es wäre ein legitimer Angriff gewesen.
So ist der Krieg. Inzwischen bereiten wir Italiener, Franzosen, Engländer, Amerikaner uns und natürlich unsere Präsidenten sich auf den Urlaub vor. Es macht nichts, wenn weitere Tausende Libyer, Militärs und Zivilisten tot sind, wenn wir zurückkommen. „Den Krieg musste man machen und machen wir. Wir reden nicht über die toten Zivilisten. Wir denken, der Krieg wird gegen Gaddafi geführt und der ist uns nicht symphatisch. Wenn wir den Leuten klarmachen, dass der Krieg gegen ihn geführt wird, so ist er in Ordnung.“
Viele namhafte Persönlichkeiten sagen, die Nato habe den Krieg und mit ihm ihr Gesicht verloren, als Millionen Menschen auf die öffentlichen Plätze geströmt sind und gegen diese Intervention und für ihren Revolutionsführer demonstriert haben. Sie können versuchen, das alles vor der Welt verheimlichen. Die Medien helfen ihnen dabei, filtern die Nachrichten, zensieren, was nicht bekannt werden soll. Früher oder später aber wird die Wahrheit herauskommen.
Wenn die Leute die Gesichter dieser Unschuldigen sehen würden, könnten sie verstehen, dass wir doch nicht so gut sind. Sie würden begreifen, dass man diesen Krieg hätte vermeiden müssen und stoppen muss, bevor unser letzter Rest an Würde verloren geht.
Die Kommentarfunktion ist deaktiviert, aber Trackbacks und Dingbacks sind offen.