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Die Aggression der Nato gegen Libyen und die Haltung der Linken

Interview mit dem italienischen Journalisten und Dokumentarfilmer Fulvio Grimaldi

Fulvio Grimaldi hat Libyen unter den Bomben der Nato im Frühjahr 2011bereits zwei Mal bereist. Am 23. Julikommt er nach Pfaffenhofen a.d.Ilm und wird seinen neuesten Dokumentarfilm„Maledetta primavera“ (VerfluchterFrühling) über Revolution,Konterrevolution und die Nato-Aggressionin der arabischen Welt im „Cinerado“zeigen.

Im Folgenden das Interview, das am 27.Mai 2011 geführt wurde. Die Fragenstellte Bernd Duschner, die Übersetzung aus dem Italienischen besorgte ebenfalls Bernd Duschner, 0171-3374658

 

1. Seit mehreren Wochen führt die Nato Krieg gegen Libyen, bombardiert seine Städteund Infrastruktur, terrorisiert seine Bevölkerung. Welche Ziele verfolgen USA und Nato-Staaten mit ihrer Aggression? Woher kommt ihr Hass auf die Regierung Gaddafi?

Der Hass und die Diffamierungen Gaddafis sollen ausschließlich dazu dienen, eigene Interessen durchzusetzen. Wir haben es mit einem Konflikt zwischen zwei politischen, sozialen und geopolitischen Konzeptionen zu tun: Gaddafi und die Mehrheit der Libyer, dieauf seiner Seite stehen, verteidigen die Souveränität der Völker und ihren sozialen Fortschrittgegen das Vordringen, die Einmischung, die Destabilisierung und Aggression der imperialistischen Mächte, die eine massive neokolonialen Offensive betreiben.Für die Regierungen der Nato unter Führung der USA ist es nicht hinnehmbar, dass es in der Welt Regionen gibt, die sich wie Libyen, Syrien und bestimmte Länder Lateinamerikas ihren Vorgaben von freiem Markt und Globalisierung entziehen. Diese Vorgaben, die ausschließlich gelten sollen, laufen auf die größte Umverteilung des Reichtums in derGeschichte der Menschheit von den breiten Massen hin zu den Eliten hinaus.Gaddafi hat in den Augen der Räuber des imperialen Kapitalismus unverzeihliche Schuld aufsich geladen: Er verteilt den nationalen Reichtum gerecht und legt seinen ausländischen Handelspartnern Bedingungen auf, die für die nationalen Interessen Libyens förderlich sind.Mit dieser Politik hat er den strategischen Feinden der USA, Russland und China, breite Möglichkeiten eröffnet. Seit Jahrzehnten fördert er die arabische und afrikanische Einheitund Unabhängigkeit. Er hat die afrikanischen Regierungen überzeugt, Africom keinen Sitz inihrem Land einzuräumen. Er hat sich stark gemacht für eine an Gold gebundene afrikanischeWährung. Sie hätte die Rolle des Dollar zerstört und die wirtschaftliche und politische Kriseder USA verschärft. Gaddafi hat eine Demokratie verwirklicht, die auf der Mitwirkung der Bevölkerung beruht. Durch sie wird die nur vorgetäuschte westliche Demokratierepräsentativen Typs entlarvt.

2. Mittlerweile wird deutlich, dass die Regierung Gaddafi über einen breiten Rückhaltin der libyschen Bevölkerung verfügt. Wie erklärst Du diesen Rückhalt?

Libyen hat 6,5 Millionen Einwohner. Von ihnen leben gut 5 Millionen in dem Bereich, den die legitime Regierung kontrolliert. Eine Million befindet sich in dem Bereich, den die Söldnerfür den westlichen Staatsstreich kontrollieren. Nur ein kleiner Teil dieser Bevölkerungunterstützt die Putschisten in Benghazi. Das gesamte libysche Volk steht unter Waffen undunterstützt seine Regierung und Führung. Das haben die 2.000 Stammesführer deutlichgemacht, die sich vor kurzem in Tripolis zu einer Treffen gegen die Aggression und den Putsch versammelt hatten. Sie vertreten die weit überwiegende Mehrheit der libyschen Stämme.

Wenn man durch Tripolitanien reist, trifft man ständig auf spontane Massenkundgebungengegen die Nato und zur Unterstützung der Regierung und ihres Führers. Das wird auchdeutlich an den geringen militärischen Erfolgen der Rebellen. Sie werden von der lokalen Bevölkerung wegen ihres räuberischen Verhaltens und den Grausamkeiten abgelehnt, die siegegen Zivilisten begehen. Ohne die Intervention der Bomber und Spezialeinheiten der Natowären die Kämpfe längst beendet. Die Libyer wissen das Urteil der UNO richtig einzuordnen. Die UNO hat den Entwicklungsstandard ihrer Bevölkerung (Gesundheitswesen, Bildung,Arbeit, Wohnung, Frauen, Mutterschaft, Lebenserwartung) als den höchsten auf demgesamten Kontinent klassifiziert.

3. Die USA und ihre Verbündeten haben ein Embargo und Flugverbot gegen Libyenverhängt. Welche Auswirkungen hat dieses Embargo auf die Versorgung der libyschenBevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten, auf ihr tägliches Leben?

Die Auswirkungen dieser Maßnahmen verschärfen sich von Tag zu Tag. Das wird amdeutlichsten sichtbar an den kilometerlangen Schlangen vor den Benzintankstellen. Ein Tankschiff mit Benzin aus Sardinien ist von der Nato aufgehalten worden. Die Nato verriegeltjeden Zugang vom Meer und von Ägypten. Wir haben es mit einer Situation wie im Irak undGaza zu tun: Man will eine Gesellschaft lahmlegen, aushungern, zerstören. Ohne Treibstoffkann man nicht zur Schule, zum Krankenhaus, zum Markt, zum Arbeitsplatz, zu den Einrichtungen und Behörden gehen. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind gestiegen, abermomentan sieht es noch nicht so aus, als gäbe es bereits großen Mangel an Lebensmitteln.Mit dem Andauern des Embargos können diese Probleme dramatische Ausmaße annehmen. Wie lange wird es wohl dauern, bis es wie für Gaza einen Schiffsverband „Freies Libyen“geben wird?

4. Bei uns gibt es kaum Protest gegen diesen Krieg. Von Solidarität mit dem libyschen Volk und seiner Regierung ist selbst in Zeitungen der Linken nichts zu spüren. Wie beurteilst Du die Haltung : „Keine Unterstützung für die Nato, aber auch nicht für Gaddafi?“

Wenn man die Sicht des Imperialismus übernimmt, dass jede Regierung oder Führung zu beseitigen ist, die die westliche Vorstellungen von „Demokratie“ und „Menschenrechten“, vomfreien Markt und begrenzter Souveränität nicht übernehmen, dann kann man nicht mehr erkennen, wer im Recht ist und wer Unrecht hat. Die Linke hat seit einiger Zeit jede Fähigkeitzu einem eigenständigen und alternativen Verständnis der Welt und der Struktur der Gesellschaft verloren. Es genügt, dass man ihr die Worte „Demokratie“ oder „Diktator“ hinwirft, und sie plappert ohne jegliche tiefergehende Analyse fremder historischer und kultureller Prozesse diese sinnentleerten Worte gedankenlos nach, hinter der eine Ideologiezur Beherrschung der Welt steckt.

Die Proteste gegen den Krieg bleiben schwach und vollkommen wirkungslos, wenn sie nicht verknüpft werden mit der Unterstützung für die Opfer dieses Krieges, die man diffamiert. Man sagt: „Der Krieg ist schlimm, aber Gaddafi ist noch schlimmer.“ Diese Position is tAusdruck von Ignoranz, Überheblichkeit, der Vorstellung, Europa sei das Maß aller Dinge.Sie ist Ausdruck der Angst, in die Ecke des „Terrorismus“ gestellt zu werden, mit dem viel Betrug betrieben wird. Unter dem Druck des Imperialismus akzeptiert man dazu noch stillschweigend, dass man sich niemals die Sicht der angegriffenen Seite anhören darf.

5. Was können und sollten wir tun, um das libysche Volk zu unterstützen und diesen mörderischen Krieg zu stoppen?

Man könnte als Antwort sagen: „Beten“. Aber abgesehen von der zweifelhaften Wirkung des Betens würde das auf eine Unterordnung unter die Kirche hinauslaufen. Die Kirche aber hat zum Frieden nur Banalitäten zu sagen, sie erhebt nicht wirklich ihre Stimme für die Gerechtigkeit. Wir dagegen haben die Aufgabe, mit ganzem Einsatz die Wahrheit über die tatsächlichen Motive für diese Aggression, über das Wesen der Rebellion, die verheerenden Folgen der Aggression und über die politische, sozialen und ökonomische Situation in Libyenbekannt zu machen. Dazu können Artikel, Veranstaltungen, Filme, Fernsehen und Radiosendungen sowie Demonstrationen genutzt werden. Er wird auch die Zeit kommen, dass wir humanitäre Hilfstransporte für Libyen organisieren müssen. Wer kann, sollte Reisegruppen nach Libyen bilden, um seine Solidarität mit diesem Volk deutlich zu machen und wahrheitsgerechte Informationen nach Hause zu bringen.

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